Das Buch Allahs ungeliebte Kinder – Lesben und Schwule im Islam des Soziologen und Lehrers Daniel Krause ist im April 2014 erschienen. Es handelt sich um ein Grundlagenwerk betreffend die Situation von lesbischen und schwulen Jugendlichen und Erwachsenen in muslimischen Kulturkreisen.
Der Autor setzt sich unter anderem wissenschaftlich damit auseinander, was der Koran und die vier größten muslimischen Rechtsschulen zu Homosexualität sagen. Zudem stellt er in einem weltweiten Vergleich die Situation von Lesben und Schwulen in muslimischen Staaten mit der Situation in westlichen Ländern gegenüber, wobei er bezüglich letzterer auch den politisch korrekten Kulturrelativismus kritisiert:
"Die Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen hat sich zum Merkmal moderner westlicher Gesellschaften entwickelt: Homo-Ehe, Adoptionsrecht und Antidiskriminierungsgesetze sind hier zunehmend selbstverständlich. In westlicher Politik sowie in westlichen Medien mischen Lesben und Schwule ganz oben mit. Hingegen ist in muslimischen Kulturen ein gegenläufiger Trend feststellbar. Nicht Emanzipation, sondern Diskriminierungen, Verfolgungen und Ermordungen von Homosexuellen nehmen zu. Weltweit befinden sich Lesben- und Schwulenrechte in Bedrängnis durch die lebensbedrohlichen Islamisierung. Betroffen sind neben islamisch regierten Staaten auch muslimische Parallelwelten inmitten westlicher Länder. Familien begehen religiöse "Ehrenmorde" an ihren lesbischen Töchtern. Islamische Straßengangs attackieren Schwule auf offener Straße. Salafisten drohen Homosexuellen mit weltweitem "Holocaust". Und der politisch korrekte Mainstream verharrt im Totschweigen. Rassismus-Keulen schlagen berechtigte Islamkritik in Grund und Boden. Muslimische Homophobie anzusprechen bedeutet, als "rechts" diffamiert. Dabei ist Lesben- und Schwulenemanzipation ein "ur-linkes" Anliegen, Religionskritik sowieso. Hier ein immer toleranter werdender Westen, dort eine zunehmend reaktionäre Islamwelt – wo zeigt sich dieses Auseinanderklaffen eklatanter als im Umgang mit sexuellen Minderheiten? ” (Seite 9f.)
Schwierigkeiten beim Coming-Out sind keine dezidiert-islamische Problematik – auch westlich sozialisierten Jugendlichen gelingt das Bekenntnis zum Anderssein selten reibungslos, stellt der Autor klar. Gewisse "Phasen" des Coming-Out mit einhergehenden Schwierigkeiten sind gewissermaßen "universell" festzustellen. Die Intensität der Coming-Out-Probleme ist jedoch innerhalb streng-religiöser Milieus ungleich höher als in progressiveren Gesellschaften, so die Botschaft des Buches. Was macht ein Coming-Out gerade für muslimische Jugendliche so schwer? Dieser Frage wird im Buch nachgegangen, aus sozialisations- wie innerpsychischer Perspektive. Dabei werden mit grundlegenden psychologischen Erkenntnissen zum Coming-Out-Prozess vorgestellt. Hiervon ausgehend folgt eine Analyse darüber, wie je nach Kulturkreis die Ausgangslagen ungleich sind:
"Erheblich sind psychische und existenzielle Risiken, mit denen ein Coming-Out für Jugendliche aus muslimischen Kulturkreisen verbunden ist. Ihre auf traditionell patriarchalischen Normen basierenden Familien dulden keine gleichgeschlechtliche Orientierung oder gar Lebensweise. Wird von einem Familienmitglied bekannt, dass es lesbisch oder schwul ist, folgt massive Einschüchterung. Viele homosexuelle Muslime outeten sich niemals im Leben. Dabei handelt es sich keineswegs immer um eine bewusste Entscheidung, sondern oftmals um eine Folge innerpsychischer Verdrängung der eigenen sexuellen Orientierung. Auch ein solch ewig währender Verdrängungsmechanismus ist wiederum auf die religiöse Sozialisation zurückführbar. Findet ein Moslem trotz aller Hindernisse dennoch zum Coming-Out, bedeutet dieses oftmals einen endgültigen Bruch mit der Herkunftsfamilie. "Bruch" kann hierbei mehreres bedeutet: im günstigeren Fall schlichtweg Kontaktabbruch, in schlimmeren Fällen Bedrohungen und Verfolgungen bis hin zu Ehrenmorden.” (Seite 38f.)
Der Autor schildert in seinem Buch eindrucksvoll reale Fälle von muslimischen Jugendlichen, welche nach ihrem Coming-Out – teils in Deutschland, teils in der Türkei – von ihren religiösen Familien getötet bzw. in den Selbstmord getrieben worden sind. Besonders nahe geht dem Leser dabei das Schicksal der 17jährigen Sepideh, welche in Münster lebte und trotz ihrer Homosexualität mit einem entfernten Verwandten aus dem Iran zwangsverheiratet werden sollte. Es kommt zu einem menschlichen Desaster – ein Fallbeispiel, das leider durchaus repräsentativ sein dürfte für die Situation von lesbischen Mädchen im Islam. Es ist absolut lobenswert, dass dieses Buch erschienen ist und den Blick auf ein bislang sehr tabuisiertes Thema lenkt. Das Vorwort zum Buch hat übrigens der Verleger Hartmut Krauss geschrieben, ein bekannter Religionssoziologe aus Osnabrück.
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